„Meine Nation ist die Größte der Nationen. Ich bin der türkische Sohn eines türkischen Vaters. Ich bin der Krieger unseres obersten Anführers Attila. Mein Name ist Tarkan.“
Sehr früh erkannten politische Machthaber das große Potenzial von Filmen für ihre Propagandazwecke. So dienen sie seit jeher neben der Unterhaltung auch als Manipulationsmittel sowie als identitätsstiftendes Medium. Im Deutschen Reich dienten Filme oftmals der nationalistischen Glorifizierung Deutschlands, andererseits wurde durch dieses Medium massiv gegen Menschen gehetzt, die den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge waren. Wir können von Glück reden, dass diese Zeiten hierzulande vorbei sind. Doch andernorts werden diese Mittel weiterhin eingesetzt, zwar nicht auf die gleiche brutale Weise, aber es ist derselbe Mechanismus. Wer kennt nicht die vielen patriotischen US-Filme, die letztlich dazu einladen, die bösartigen Feinde der USA vernichtet zu sehen und am liebsten der US Army beizutreten?
In der Türkei war und ist das nicht anders. Allerdings sprechen türkische Filme größtenteils kein internationales Publikum an, deswegen setzen sie mit der Propaganda noch eins drauf. Was ich an dieser Stelle anmerken muss, ist, dass der Nationalismus in Deutschland aus gutem Grund größtenteils verachtet, in der Türkei hingegen mehrheitlich zu einer Tugend verklärt wird. Das hat zur Folge, dass der Nationalismus nicht nur etwa von den rechtsextremen Grauen Wölfen angenommen, sondern durch breite Gesellschaftsschichten hindurch internalisiert wird und sie dadurch einen gemeinsamen Nenner besitzen. Meines Erachtens haben nationalistische Filme und Serien einen maßgeblichen Anteil an dieser Indoktrination, die den Sektor dominieren.
Meine Kindheit
Kaum war ich als Kind den Power Rangers entwachsen, wurde ich bis zu meiner frühen Jugend mit türkischen Propagandafilmen bestrahlt. Meine Superhelden aus der Kindheit waren folglich nicht etwa Figuren wie Batman oder He-Man, sondern die fiktiven türkischen Krieger Tarkan und Kara Murat, die ausnahmslos jeder Türkeistämmige kennt, denn diese Figuren haben in der Community einen Kult-Status erreicht, zumal sie bis heute im Fernsehen laufen. Sie waren nur die Fortsetzung einer Jahrzehnte andauernden staatspropagandistischen Identitätsstiftung in der Filmbranche.
Tarkan ist ein Krieger des Hunnenkönigs Attila, der mit seinem Wolf – filmisch dargestellt von einem Deutschen Schäferhund – Jagd auf Bösewichte macht. Bei mir hat die Schnurrbartform (Fu Manchu) des Hunnen Tarkans, die bei den meisten Nationalisten zur türkischen Ethnie gehören, einen familiären Bezug, denn so einige Verwandte und Bekannte gehör(t)en den Grauen Wölfen an, die alle den gleichen typischen Schnurrbart tragen, der ihnen als Erkennungssymbol dient.
Filmplakat „Tarkan: Mars’ın Kılıcı“
- Tarkan: Mars’ın Kılıcı (1969)
- Tarkan: Gümüş Eyer (1970)
- Tarkan: Viking Kanı (1971)
- Tarkan: Altın Madalyon (1972)
- Tarkan: Güçlü Kahraman Kolsuz Kahraman’a Karşı (1973)
Kara Murat ist ein osmanischer Kämpfer, der sich ebenso an einen Comic anlehnt, dessen Held einen ähnlichen Schnurrbart hat.
- Kara Murat: Fatihin Fedaisi (1972)
- Kara Murat: Fatihin Fermanı (1973)
- Kara Murat: Ölüm Emri (1973)
- Kara Murat: Kardeş Kanı (1974)
- Kara Murat: Şövalyeye Karşı (1975)
- Kara Murat: Şeyh Gaffara Karşı (1976)
- Kara Murat: Denizler Hakimi (1977)
- Kara Murat: Devler Savaşıyor (1978)
Wie effektiv die geschichtsrevisionistische Manipulation bei mir wirkte, kann ich beispielhaft anhand der Darstellung von Kara Murat zeigen: Obwohl die Osmanen in Istanbul die Invasoren waren, vermittelten mir solche Filme bis zu meiner frühen Jugend das Gefühl, dass Konstantinopel (heute Istanbul) von den „bösen“ Griechen befreit werden musste, damit es in die Hände der barmherzigen, tapferen Menschen gelangte. In diesem Sinne waren die Osmanen keine Invasoren mehr, sondern Befreier eines von niederträchtigen Herrschern unterjochten Volkes. Jede Invasion verliert somit ihre Schuld, indem sie zu einem Akt der Verteidigung umgedeutet wird.
Hinzu kommt, dass die „bösen“ Herrscher – meist Byzantiner – Wein neben leicht bekleideten Frauen tranken und mit boshaft wirkendem Lachen zu einer typischen Schreckensfigur stilisiert wurden. Der Weinkonsum des böswilligen Herrschers in diesem Kontext stellte den Kontrast zur nationalistisch-islamischen Synthese her, denn die Osmanen wurden sowohl türkisch als auch muslimisch dargestellt.
Es gibt viele Kennzeichen solcher Produktionen, aber eines sticht besonders hervor – die Existenz einer klaren Dichotomie von Gut und Böse. Der türkische Kämpfer zeichnet sich durch Heldenmut, Tapferkeit, Sexappeal und Intelligenz aus. Auf der anderen Seite gibt es so gut wie keine Graustufen. Beinahe alle Figuren auf der gegnerischen Seite sind intrigant, unzüchtig, dekadent und skrupellos. Mit einer einzigen Ausnahme: In fast jedem Film verliebt sich eine Frau auf Seiten der Bösen – oft die Prinzessin – in den türkischen Helden, der Werte vertritt, die konträr zu denen auf ihrer Seite sind. Er ist die ideale Verkörperung eines gut aussehenden, tugendhaften Mannes, der sich gegen Ungerechtigkeit einsetzt. Sie lösen sich von ihrer religiösen und kulturellen Vergangenheit, die moralisch verwahrlost ist, um die höherwertige Kultur und Religion des türkischen Helden anzunehmen. Mit anderen Worten, sie assimiliert sich freiwillig.
Rückblickend kann ich sagen, dass mich in meiner Kindheit bis zur frühen Jugend derartige Filme und nationalistische Musik viel stärker geprägt haben als die Anwesenheit in der Moschee der Grauen Wölfe während dieses Zeitabschnitts. Denn Bilder und Musik sprechen die Emotionen direkt an und sind aufgrund dessen selbst Jahre später abrufbar gewesen.
Auffällig an jener Moschee war, dass ich viele Symbole, von zu Hause und aus den Filmen, wiedererkannte, was der Grund für das damalige heimische Gefühl war. Beispielsweise hing dieses Bild von „Kürşad“ (historische Figur: Chieh-she-shuai) an der Wand der Moschee, das eine starke Ähnlichkeit mit Tarkan besitzt.
Auf der anderen Seite gab es zwar gesellschaftskritische Filme wie „Yol“ (1982), dieser wurde aber vom türkischen Staat für 17 Jahre verboten, da darin Kritik an der staatlichen Willkür enthalten war sowie auf die missliche Lage der Kurden aufmerksam gemacht wurde. Allein auf den Gebrauch der kurdischen Sprache stand die Zensur. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass dieser Spielfilm nach dem Ende des Verbots einen Zugang zu den großen Sendern gefunden hat. Ich hatte damals also nicht einmal die Gelegenheit, mir kritische Filme anzusehen, die die autoritäre und nationalistische staatliche Macht entschleierten.
Aktuelle Lage
Nun haben wir 2022 und von Aufarbeitung ist man in der Türkei noch weit entfernt. Stattdessen werden weiterhin Filme und Serien produziert, die die gleiche Machart wie die von Tarkan und Kara Murat haben. Die vorgestellten Narrative werden in diesen neuen Produktionen weiterverwendet, womit sie eine Kontinuität in der Indoktrination besitzen. Das einzige, was sich ändert, sind die Feindbilder, die je nach politischer Lage variieren. Mal ist es der US-Amerikaner, gern der Jude, Grieche, Kurde, westliche Agent oder „türkische Landesverräter“, die in Serien nicht selten in Bezug auf aktuelle Geschehnisse gesetzt werden, um dabei unterschwellig Oppositionelle zu diffamieren.
Gesellschaftskritische Filme über die Diskriminierung religiöser und ethnischer Minderheiten sind eine Rarität. Doch die Lage ist nicht völlig hoffnungslos. Durch internationale Medienunternehmen findet sich ein Weg, eine historische Aufarbeitung zu ermöglichen, wie es in der Netflix-Serie „Der Club“ trotz einigen Schwachstellen teilweise geschieht. Selbstverständlich kann die Verantwortung der Aufklärungsarbeit über die Verbrechen an die Minderheiten nicht allein der Filmindustrie obliegen. Eine weitreichende Aufarbeitung ist nur möglich, wenn staatliche sowie zivile Institutionen an einem Strang ziehen. Wieso dies ein sehr problematisches Feld in der Türkei ist, wird das Thema eines späteren Beitrags werden.