Mit „House of One“ in Berlin wollen sich Juden, Christen und Muslime für ein friedvolles Miteinander ein Gotteshaus teilen. Die drei monotheistischen Religionen werden in diesem Projekt vertreten durch die Jüdische Gemeinde zu Berlin, das Abraham Geiger Kolleg für Rabbinerausbildung in Potsdam, die evangelische Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien und auf der Seite der Muslime durch das Forum für Interkulturellen Dialog, das zur international agierenden Gülen-Gemeinde, in Eigenbezeichnung Hizmet-Bewegung, gehört. In meiner Jugend nahm ich an Gesprächskreisen der Gülen-Gemeinde teil, ich sah das Innenleben in ihren Lichthäusern, ich sah, wie sie gemeinsam mit Erdogan über die Türkei autokratisch herrschten, und ich sah in Gülens Büchern, welchen Islam er predigt. Das Image, welches die Gemeinde versucht für die Außenwelt aufzubauen, spiegelt nicht zwingend das wider, was nach innen gelebt wird. Aus dieser Erkenntnis werfen sich Zweifel zur Wahl des Projektpartners an diesem an sich lobenswerten Unternehmen auf. Um mein Anliegen genauer zu erläutern, werde ich versuchen, euch die in Deutschland bisher recht unbekannte zwiespältige Seite von Fethullah Gülen und seiner Gemeinde zu zeigen.
In jüngster Vergangenheit forcierte die Gülen-Gemeinde in der Türkei ein ähnliches Dialog-Projekt mit den Aleviten: ein gemeinsames Gebetshaus, auf der einen Seite die Sunniten mit ihrer Moschee, auf der anderen Seite die Aleviten mit ihrem Cem-Haus. Jedoch hat dieses auf den ersten Blick tolerant erscheinende Vorgehen eine Kehrseite. Die Aleviten wurden in Anatolien über Jahrhunderte dermaßen angefeindet und Pogromen ausgesetzt, sodass viele von ihnen anfingen, ihren Glauben zu verstecken und sich sogar unter streng konservativen Sunniten zu verstellen, um diesen Diskriminierungen ein Stück weit auszuweichen. Viele nahmen nach außen hin die sunnitischen Pflichten wie das Beten in der Moschee oder das Fasten im Ramadan an, um weiterhin in Frieden leben zu können. Noch heute werden die Aleviten in der Türkei diskriminiert; größtenteils von den Grauen Wölfen, streng konservativen Sunniten, aber auch teilweise durch den Staat. Der türkische Staat erkennt das Gebetshaus der Aleviten als solches nicht an, sondern tut es herabsetzend nur als Kulturzentrum ab. In der Praxis hat das u. a. die Folge, dass Aleviten durch Steuern das sunnitische Religionsministerium mitfinanzieren, die Gehälter der sunnitischen Imame zahlen müssen und gleichzeitig mit Spenden für ihre Cem-Häuser, mit allem was dazu gehört, aufkommen.
Nun kam Gülen ins Spiel. Gemeinsam mit der Erdogan-Regierung wollte er als Zeichen der Toleranz ein gemeinsames Gebetshaus ins Leben rufen. Sehr viele Aleviten waren dagegen, aber wieso? Wieso ist man dagegen, wenn dies doch die Toleranz und den Dialog wie bei „House of One” fördern soll oder liegt das eher an den Initiatoren dieses Projektes? Tatsächlich gab es Grund zum Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Motivs der Initiatoren, den interreligiösen Dialog und somit den Frieden untereinander zu fördern. Im Folgenden werden Aussagen von Gülen angeführt, die seine Sicht auf die Aleviten verdeutlichen, die wiederum die Haltung der Aleviten erklären. In einem Video, das im Internet kursiert, erwähnt Gülen das Kizilbasch-Problem. Kizilbasch wird von Nationalisten und streng konservativen Sunniten abschätzig als Synonym für Aleviten benutzt. Des Weiteren unterscheidet Gülen zwischen „echten” sowie „unechten” Aleviten:
„[…] wenn sie diesen Ort opfern, kommt in der Türkei die Kızılbasch-Frage. Jetzt sind Mullahs, Hodschas, Scheichs und religiöse Menschen unter ihnen. In den von uns dort eröffneten Schulen, in den Kursen können wir mit ihnen in Dialog treten. Diese bieten die Gelegenheit die Wellen zu brechen. Aber in der Türkei sage ich nicht Aleviten. Sie sind keine Aleviten. Die Aleviten in Anatolien sind die Yörüks, unsere Turkmenen, das sind Menschen, mit denen wir immer gut auskommen. Hinter diesem Werk stehen jedoch die Aleviten um Tunceli, die ursprünglich Alawiten waren, bestehend aus Armeniern und Assyrern. Wenn diese Probleme in der Türkei verursachen, können Sie dem nicht mit ihrem Staat und ihrer Armee entgegentreten. Und sie haben keine Religion. Es gibt das Alawiten-Credo: Gott ist der Mensch, der Mensch ist Gott. Gott ging in den Menschen ein und gehorchte dem Menschen“.
Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP, ist ein Alevit aus Dersim/Tunceli. Seine religiös-kulturelle Identität ist oft Angriffsziel konservativ-sunnitischer Politiker wie Recep Tayyip Erdoğan.
Einerseits entscheidet Gülen nach eigenem Gutdünken, was das Alevitentum ist, andererseits lässt er die kurdischen Aleviten gänzlich außer Acht. Er vermengt sie mit den “Tunceli-Aleviten”. Demnach seien lediglich die Turkmenen die wahren Aleviten. Bei einer polizeilichen Ermittlung entdeckten Beamte Notizen bei Gülen-Anhängern, die sie im Gespräch mit ihrem Oberhaupt Gülen aufnotiert haben sollen. Dazu gehören folgende Aussagen Gülens: „Wir haben Süleyman Demirel (ehemaliger Ministerpräsident) Listen von alevitischen Generälen mit anrüchigen Stammbaum gegeben. Leider sagt er ,Hodscha, misch dich nicht ein, misch dich nicht in die Angelegenheiten der Armee ein’. Er antwortet uns mit beleidigenden Ausdrücken. Wir haben Demirel immer vertraut, wir wurden immer getäuscht. Tatsächlich sind die Vorfahren von Demirel, Yaşar Büyükanıt (damals Generalstabschef) und dergleichen alle jüdisch.“
„HSYK (Hoher Rat der Richter und Staatsanwälte) war geradezu eine Banditenbande, das waren alles Atheisten. Sie übernahmen die Ausgaben der alevitischen Dedes. Alles Kizilbasch, sie alle standen als Kizilbasch an der Spitze des Landes. Die göttliche Barmherzigkeit sah uns an und sie gingen fort.“
HSYK wurde 2010 durch ein heftig umstrittenes Referendum ganz im Sinne Gülens und Erdogans ihren Vorstellungen angepasst und unter ihre Kontrolle gebracht.
Zwischen den Aussagen, die intern getätigt und jenen, die öffentlich zur Schau gestellt werden, besteht eine große Diskrepanz. Solche Gotteshaus-Projekte wurden auch von der Erdogan-Regierung unterstützt, allerdings machten die AKP-Abgeordneten im Gegensatz zu Fethullah Gülen keinen Hehl aus ihren Aussagen. Der damalige AKP-Abgeordnete Mehmet Çiçek sprach offen nach der Eröffnung eines gemeinsamen Gotteshauses in Yozgat: „Aleviten sind Sunniten, Sunniten sind Aleviten […] Ein Cem-Haus ist eine Ebene zwischen einer Moschee und einem Haus. Es ist keine Alternative zur Moschee.“
Der überwiegende Teil der Aleviten waren gegen solche Projekte, da sie darin einen Versuch der Assimilation ihres Glaubens und ihrer Kultur sahen. Durch solche Äußerungen sahen sie sich dabei lediglich bestätigt. Im Jahr 2015 wurde das von Gülen gepriesene Projekt u. a. aufgrund der Proteste der Aleviten gestoppt. Ein weiteres Ereignis bestätigte ebenfalls ihre Zweifel. Nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016, in dem Erdogan eine Beteiligung von Fethullah Gülen sah und dessen Gemeinde fortan mit „FETÖ”, Fethullahistische Terrororganisation, betitelte, unternahm er eine große Gegenoffensive: Schulen, Universitäten, Unternehmen, Nachhilfeeinrichtungen, Medien, Holdings, alles was der Gülen-Gemeinde angehörte, wurde beschlagnahmt, geschlossen, verboten. Zehntausende Beamte, die dieser Gemeinde angehören sollen, wurden entlassen, viele eingesperrt. Neben all dem wurden ebenso mindestens elf alevitische Vereine geschlossen. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörten selbst diese Vereine der Gülen-Gemeinde an. Ali Kenanoğlu , ehemaliger HDP-Abgeordneter und Journalist bei Evrensel schrieb diesbezüglich, dass diese Vereine von der Gülen-Gemeinde gegründet und von Erdogans AKP gegen alevitische Vereine eingesetzt wurden. Die drei größten alevitischen Vereinigungen des Landes meldeten sich ebenfalls zu Wort.
Der Vorsitzende der Alevi Bektaşi Federasyonu Baki Düzgün: „Dies sind Vereine, Stiftungen und Verbände, die Fethullah Gülen zusammen mit der Regierung gegründet hat. […] Dies sind Konstruktionen ohne Fundament, die nur geschaffen wurden, um sie den echten alevitischen Komponenten entgegenzustellen.„
Der Vorsitzende der Alevi Dernekleri Federasyonu Rıza Eroğlu: „Diese geschlossenen Strukturen wurden von den Regierungen der AKP gemeinsam mit Fethullah Gülen aufgebaut.“
Der Vorsitzende der Alevi Vakıfları Federasyonu Remzi Akbulut: „Diese geschlossenen Strukturen sind Vereine, Stiftungen und Verbände, die von den Regierungen der AKP gegründet wurden.“
Gülen sagt zu keiner Zeit, dass das Cem-Haus ein Gebetshaus ist. Ganz im Gegenteil, er befürwortet auf seiner Homepage den Status quo, wonach Aleviten im Religionsministerium weiterhin nicht vertreten werden sollen und appelliert an die verbindende Kraft dieses Ministeriums. Das Engagement Gülens zur Förderung des interreligiösen Dialogs und der Toleranz erscheint im Hinblick auf diese widersprüchliche Vorgehensweise in einem anderen ganz Licht.